Eine große Unbekannte
Seltsamerweise bleibt die Tatsache, dass die durch die Maikrise ausgelöste Dynamisierung von Hitlers Kriegsvorbereitungspolitik in der historischen Breitenwahrnehmung kaum zur Kenntnis genommen wird. Anders als nach der sog. Hoßbach-Konferenz vom 5. November 1937 sollten nun aber nicht mehr günstige Bedingungen abgewartet, sondern es sollte unbedingt losgeschlagen werden. Und hierfür wurden seit Ende Mai 1938 auf ganzer Linie konkrete Vorbereitungen getroffen.
Als zentrale Wegmarke für die Sudetenkrise von 1938 und die strukturelle Linie hin zum „Münchener Abkommen“ wurde die Wochenendkrise inzwischen vor allem von angloamerikanischen Historikern akzeptiert. Im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses standen dabei die Auswirkungen der Krisenereignisse vom Mai 1938 auf die britische Appeasement-Politik im weiteren Verlauf der Sudetenkrise. So wurde aus mentalitätsgeschichtlicher Perspektive die These vertreten, dass Europa nach der Maikrise in das Stadium eines latenten Krieges eintrat.
Dennoch ist kaum zu verkennen, dass die Wochenendkrise bis heute weithin unbekannt und in der Geschichtsschreibung ein Phantom geblieben ist. Ein erstaunlicher Befund, denn wer sich als Wissenschaftler die Mühe macht, zeitgenössische Quellen zu studieren und in den Archiven Stufe um Stufe in die Materie einzutauchen, kommt zu einem wesentlich differenzierteren Ergebnis.
Andreas Krämer: Hitlers Kriegskurs, Appeasement und die „Maikrise“ 1938. Entscheidungsstunde im Vorfeld von „Münchener Abkommen“ und Zweitem Weltkrieg, De Gruyter, Berlin / Boston 2014