Maikrise

Rätselhafte Ereignisse

Am Wochenende des 21./22. Mai 1938 spitzte sich die seit dem „Anschluss“ Österreichs schwelende Sudetenkrise plötzlich zu und führte Europa bis an den Rand des Krieges. Gerüchte über deutsche Angriffsabsichten deuteten auf einen neuerlichen Überraschungscoup Hitlers hin. Die tschechoslowakische Regierung verfügte eine Teilmobilmachung ihrer Streitkräfte, und 48 Stunden lang beherrschte Kriegspanik die Szenerie. Eine formelle Warnung Londons an die Reichsregierung hatte dabei die Außenwirkung eines britischen Ultimatums an die Adresse Hitlers. Die befürchtete deutsche Aktion blieb aber aus. Die Lage entspannte sich so plötzlich, wie die Krise begonnen hatte.

Als „Wochenendkrise“ bzw. „Maikrise“ gingen diese turbulenten Tage in die Geschichtsbücher ein. Viele Zusammenhänge des Krisenwochenendes sind allerdings nach wie vor unklar. Vor allem die mysteriösen Hintergründe trugen dazu bei, dass die Wochenendkrise eines der letzten großen Rätsel der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges blieb.

Die rätselhaften Hintergründe führten dazu, dass sich bei der Erforschung der Krisenereignisse vom Mai 1938 mehrere kontroverse Interpretationsmuster herausbildeten. Vier verschiedene Richtungen sind dabei zu erkennen: Vertreter der „Überfalltheorie“ gingen von am Vorabend der Maikrise akut angelaufenen deutschen Angriffsvorbereitungen gegen die Tschechoslowakei aus. Im Gegensatz dazu wurde im Rahmen der „Präventivtheorie“ die Verantwortung für die Krise auf tschechischer Seite verortet, während die Anhänger der „Konspirationstheorie“ die These vertraten, dass die Prager Regierung von dritter Seite getäuscht und mit falschen Alarmnachrichten gefüttert worden sei, um eine europäische Krise zu entfesseln. Zweck einer solch planmäßigen Eskalation der Sudetenkrise sei gemäß der „Fallentheorie“ gewesen, das Deutsche Reich in einen Krieg gegen eine große Anti-Hitler-Koalition zu verwickeln, für den die Wehrmacht im Frühjahr 1938 nicht gerüstet war.


Andreas Krämer: Hitlers Kriegskurs, Appeasement und die „Maikrise“ 1938. Entscheidungsstunde im Vorfeld von „Münchener Abkommen“ und Zweitem Weltkrieg, De Gruyter, Berlin / Boston 2014